Wenn Aktienkurse nahe dem Allzeithoch sind, spielt die Psyche der Anleger verrückt. Fürwahr, die aktuelle Lage mit Höchstkursen an den Börsen stellt eine grosse Herausforderung für Investoren dar. Werden diese doch gleich zu mehreren Fehlverhalten verleitet.

Der englische Physiker, Astronom und Investor Isaac Newton (1632–1727) hinterliess uns zum Phänomen des Allzeithochs diesen Ausspruch: «Ich kann die Bahn der Himmelskörper berechnen, nicht aber, wohin eine verrückte Menge die Kurse treibt.»
Eigentlich ist es ein Glück, dass Anleger diesen Zustand erleben, so lange es die Börsen gibt. Denn Allzeithochs signalisieren doch vor allem eines: Investiertes Geld an der Börse vermehrt sich. Dennoch stellt das Allzeithoch die Börsianer immer wieder vor grosse Herausforderungen. Löst es doch gleich mehrere Fehlverhalten aus. Auch jetzt wieder: Die Höchstkurse an den Börsen verursachen Ängste. Die Rally sei zu Ende, ein Crash sei nahe, eine Korrektur unausweichlich.

Es zahlt sich erwiesenermassen aus, wenn Anleger sich die Gefahren von Fehlverhalten vor Augen führen und Grundsätze des Behavioral Finance beherzigen. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass das Investieren unter Berücksichtigung marktpsychologischer Aspekte zu klar besseren Resultaten führt.

Das Allzeithoch-Fehlverhalten, der sogenannte «All time high bias», signalisiert unserem Hirn, dass ein weiterer Anstieg der Börsen unwahrscheinlich ist und die Wahrscheinlichkeit einer Korrektur überwiegt. Das Hirn irrt in diesem Fall. Denn unsere Psyche neigt dazu, kleine Wahrscheinlichkeiten zu übertreiben und grosse zu vernachlässigen.

Am Grundsystem der Aktienmärkte, das auf Wachstum und moderater Inflation beruht, ändert sich nichts, nur weil Höchststände erreicht werden. Die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Anstiegs ist gleich hoch wie zuvor.

Ein weiteres Problem, das mit dem «All time high bias» einhergeht, ist der sogenannte «Information bias», der dazu führt, Informationen falsch zu interpretieren. Wenn Medien von einem Allzeithoch der Aktienmärkte sprechen, ist diese Information meist mit Vorsicht zu geniessen. Denn die Börsenindizes verändern sich im Laufe von fünf, zehn oder 20 Jahren ständig. Ein Beispiel: Mit der jüngst erfolgten Aufnahme von Apple im US-Index Dow Jones ist dieser im Prinzip nicht mehr vergleichbar. Nicht «die Märkte» notieren also auf dem Allzeithoch, sondern die darin indexierten Aktientitel.

Das wohl grösste Problem für die Anleger-Psyche ist in diesem Zusammenhang der Dispositionseffekt. Er besagt, dass Gewinnen ein geringerer positiver Nutzen zugeordnet wird, Verlusten dagegen ein grösserer negativer Nutzen. Anschaulich gesagt: Steigt eine Aktie um 10 Prozent, freut den Anleger das weniger als ihn ein Absturz von 10 Prozent schmerzt. Die Folge davon: Anleger realisieren ihre Gewinne zu früh, während sie Verluste verdrängen und unkontrolliert weiter laufen lassen. Das Allzeithoch kann darum viele Anleger dazu bewegen, zu früh auszusteigen.

Die Lehren daraus sind klar: Anleger sollten immer momentbezogen und anhand objektiver Informationen entscheiden – ohne den emotionalen Einfluss Dritter. Es ist Aktien und Indizes völlig egal, ob sie Höchststände erreicht haben oder ob ein Anleger damit mit 30 Prozent im Gewinn oder im Verlust steht. Entscheidend sind rationale Gründe, ob Sie einen Titel kaufen oder verkaufen.

So lange die Schuldenproblematik vieler Länder nicht gelöst ist, werden die Zinsen sehr tief bleiben. Lassen Sie ihr Depot spüren, dass Sie eines begriffen haben: Die Zinsen, wie wir sie kannten, gehören der Vergangenheit an. Die Coupons von gestern sind die Dividenden von heute und morgen. Nicht zuletzt deshalb werden die Aktienmärkte langfristig weiter steigen. Ein Allzeithoch bedeutet noch lange nicht das Ende aller Tage.

Mojmir Hlinka