Seit Monaten geistern die Schlagzeilen des «Zinsgespenstes» durch die Medien. Sie sollen die Angst der Investorengemeinde vor dem erwarteten Zinsschritt der USA suggerieren. Bislang war alles nur ein Spuk, der zu einem klassischen Anlagefehlverhalten führte.

Friedrich Nietzsche beschrieb es in «Also sprach Zarathustra» als das Schwerste überhaupt: «Dem Gespenst die Hand reichen, wenn es uns fürchten machen will.» Der deutsche Philosoph hatte kaum die Zinsen und ihren Einfluss auf die Finanzmärkte im Sinn, als er sein Werk verfasste. Aber man könnte meinen, Nietzsche meinte das Zinsgespenst, das seit Monaten auf den Börsenparketts herumspukt und Angst und Schrecken verbreitet.

Völlig unbegründet, wie sich bislang zeigte. Und jetzt, wo Weihnachten naht und sich das Jahr seinem Ende entgegenneigt, dämmert es: Es war ein weiteres Jahr, in dem ein lange erwartetes Ereignis nicht stattfindet – eine signifikante Zinsanhebung in den USA.

Wer die Ausgangslage an der Zinsfront in den vergangenen Jahren rational und objektiv beurteilt hatte, musste jeweils zum Schluss kommen: Die Zinsen bleiben tief. Nur herrschte diese Rationalität weder in den Märkten noch in den Medien. Seit bald zwei Jahren wird hier das Zinsgespenst beschworen. Wenn Anleger immer wieder hören und lesen, dass die Zinsen steigen, führt dies zu einem klassischen Anlagefehlverhalten: Dem «Availability bias», dem Verfügbarkeitsvershalten. Es führt dazu, dass Anleger von einer Zinserhöhung ausgehen und dabei vergessen, den Informationsstand objektiv zu prüfen und zu ergründen.

Höchste Zeit also, sich mit einigen Gedanken und Sorgen der Investoren psychologisch auseinanderzusetzen:

• Weil die Zinsen praktisch auf null oder sogar schon im Negativbereich sind, gehen Investoren davon aus: Die Zinsen können nur noch steigen. Das ist falsch! Diese Annahme treffen die Investoren nun seit mehr als einer halben Dekade. Aber die Realität straft sie Lügen. Auch im Moment spricht die Präsidentin der US-Notenbank, Janet Yellen, lieber über die globale Konjunkturentwicklung und nicht nur über den sich zweifelsohne sehr robust entwickelnden Arbeitsmarkt in den USA.

• Investoren sind sich sicher, dass die Tiefzinspolitik zu einer massiven Inflation führt. Auch das ist falsch! Die Realität ist eine andere. Nicht die Inflation bereitet den Notenbankern seit Jahren Sorgen. Es ist die Deflation. Darum sind weitere Geldspritzen wahrscheinlich.

• Anleger wissen: Wenn die USA die Zinsen erhöhen, zieht die Welt nach. Das ist erneut falsch! Die EU braucht weiterhin viel billiges Geld, um die Konjunktur weiterhin anzukurbeln. Die Schweizerische Nationalbank wird alles dafür tun, um den Franken zu schwächen. Sie wird sicher nicht die Zinsen erhöhen, um den Franken attraktiver zu machen.

• Es wird eisern an der sogenannten Weisheit festgehalten, dass steigende Zinsen schlecht sind für die Börsen. Ein Denkfehler. Denn für Banken und Versicherungen sind Zinsen eine Einkommensgrundlage. Ein moderater Zinsanstieg – und wer mehr erwartet, ist ein Fantast – ist darum für die Entwicklung der Finanzmärkte sicher nicht schädlich.

Zum Schluss rufe ich den Marktexperten nochmals in Erinnerung, dass die USA zwar einen riesigen Binnenmarkt haben, aber auch eine starke Exportwirtschaft. Reduziert man alle Informationen auf ein logisches Minimum und beurteilt man alle Aspekte, so wird absolut klar, dass die US-Notenbank keinen Alleingang machen und eine Hochzinsinsel erschaffen wird. Das Risiko, durch einen zu starken Dollar die langsam aufstrebende Konjunktur zu gefährden, werden die Währungshüter sicher nicht eingehen. Denn in den USA wird kommendes Jahr ein neuer Präsident gewählt.

Was also bleibt den Investoren zu tun? Die Informationen objektiv zu bewerten und der Realität ins Auge zu sehen. Die tiefen Zinsen werden auf absehbare Zeit bleiben. Mehr als «Zinskosmetik» wird es in den USA nicht geben. Das Zinsgespenst bleibt – ein Spuk. Anleger können ihm beruhigt die Hand reichen. Das wirksamste Mittel, um das Zinsgespenst ins Leere spuken zu lassen, sind Investments in solide, cashflowstarke Unternehmen, die hohe Dividenden zahlen und von denen man hierzulande – Gott sei Dank – genügend findet.

Mojmir Hlinka