Der Vermögensverwalter ist für seine Kunden, was der Arzt für den Patienten ist. Monetäres und gesundheitliches Wohlbefinden hängen enger zusammen, als man denkt. Und die Psyche spielt die überragende Rolle in diesen Beziehungen.

Diese Kolumne widmet sich für einmal nicht der Psychologie der Anlagemärkte, sondern der psychologischen Beziehung zwischen Vermögensverwalter und Kunde. Um in dieser Beziehung in die Tiefe zu gelangen, nehme ich den Umweg über die Medizin. Das ist nicht abwegig: Wohlstand und Gesundheit sind in der Entwicklung der menschlichen Zivilisation eng miteinander verknüpft. Aber so präzise – fast schon provokant – wie Goethe hat es niemand gesagt: «Ein gesunder Mensch ohne Geld ist halb krank.»

Wie der Arzt zum Patienten steht der Vermögensverwalter zum Kunden in einem tiefen Vertrauensverhältnis: Gleichsam der Gesundheit muss er das monetäre Lebenswerk des Kunden verwalten. Das ist auch psychologisch komplex. Wie komplex, veranschaulicht ein Phänomen, das in der Medizin wohlbekannt ist: das Placebo.

Diese Arznei ohne Wirkstoff wirkt eben doch. Das Placebo ist der Beweis, dass unsere Psyche unsere eigene Gesundheit gewaltig beeinflussen kann. Noch deutlicher wird dies anhand der Informationen, die dem Patienten mit dem Placebo verabreicht werden: Spritzen wirken besser als Pillen, grosse und bunte Pillen besser als kleine weisse. Ein Beispiel aus der Welt des Geldes: Privatbanken wie Vermögensverwalter empfangen Kunden nicht in einer Absteige, sondern in repräsentativen Räumen – eine rein psychologische Massnahme.

Die Form der Informationen lässt uns Anlageentscheide an den Finanzmärkten treffen, nicht nur der Inhalt. Wird ein Medikament über einen langen Zeitraum eingenommen und dann durch ein Placebo ersetzt, lässt die Wirkung oft nicht nach. Dies sollte Investoren vor stereotypen Verhaltensweisen warnen.

Der Fakt, dass durch einen Arzt verabreichte Placebos deutlich besser wirken als durch eine Krankenschwester verabreichte, öffnet eine völlig neue Perspektive auf den Vermögensverwalter und sein Bewusstsein, mit dem er seine Position in der Beziehung zum Kunden wahrnimmt.

Dazu ein faszinierendes Beispiel einer Begebenheit, die sich tatsächlich zwischen Arzt und Patient zugetragen hat: Ein Arzt berichtet einem langjährigen Asthmakranken von einem neuen Medikament, das sehr gute Behandlungserfolge verspricht. Der Patient stimmt zu, nimmt es ein, und es stellt sich eine nie zuvor erreichte Verbesserung seines Zustandes ein. Der Arzt informiert den Hersteller des Medikamentes über den verblüffenden Erfolg und stimmt dem Vorschlag zu, das Medikament experimentell durch ein optisch identisches Placebo zu ersetzen. Der Patient reagiert darauf mit heftigen Asthmaanfällen, worauf der Arzt wieder das Medikament bestellt. Sofort ist die Verbesserung da. Als der Arzt ein erneutes Placebo-Experiment ablehnt, teilt ihm der Hersteller mit, es handele sich um eine Studie und er habe dem Patienten von Beginn an ein Placebo verabreicht.

Dieses Beispiel manifestiert die gewaltige psychologische Verbindung und das tiefe Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Der Vergleich zwischen einem Kunden und seinem Vermögensverwalter ist offensichtlich. Der Vermögensverwalter soll eine Schutzschicht zwischen den Unwägbarkeiten des Marktes und seinem Kunden errichten. Er muss den Kunden vor den psychologischen Meteoriteneinschlägen der Börsen bewahren. Er muss behutsam die Rationalität walten lassen und seinen Kunden vor den Fehlern bewahren, die ohne seine Mitwirkung leicht passieren könnten. Nicht zuletzt dafür wird er schliesslich vom Kunden bezahlt.

Das Placebo-Beispiel demonstriert, wie er dabei vorzugehen hat. Der Vermögensverwalter muss sich klar vor Augen führen, welche Verantwortung er trägt und wie tief die psychologische Verbindung zwischen ihm und seinem Kunden ist, war und bleiben soll. Transparenz, Objektivität und Individualität sollten sein Tun und Handeln bestimmen. Das Wichtigste jedoch muss seine Unabhängigkeit und Freiheit von jeglichen Interessenskollisionen sein.

Denn dann – und nur dann – macht sich der Vermögensverwalter unersetzlich. Auch für die Gesundheit seines Kunden. Wenn Voltaire einst prophezeite «In der einen Hälfte des Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu erwerben. In der anderen Hälfte opfern wir Geld, um die Gesundheit wiederzuerlangen.», dann ist es die Aufgabe des Vermögensverwalters, die Prophezeiung nicht wahr werden zu lassen.

Mojmir Hlinka